Weather Report – Live in Offenbach 1978
Zur Feier des 40. Gründungsjahres von Weather Report ist die Zawinul Erbengemeinschaft stolz, dieses vorliegende Live-Dokument des Auftritts der Band vom 29. September 1978 in Offenbach veröffentlichen zu können. In separaten DVD- und (im Vorfeld unveröffentlichten) CD-Versionen erhältlich, zeigen die Aufnahmen die wohl individuellste Gruppe aller Zeiten mit einem Mix aus Jazz, Rock und elektronischer Musik – hier sind sie in absoluter Topform zu hören. Angeführt von zwei Musikvisionären, Pianist/Keyboarder Joe Zawinul und Tenor-/Sopransaxophonist Wayne Shorter, war die Band unter anderem auch deshalb einzigartig, weil sie die zu der Zeit so modische Gitarre vermied. Ebenfalls mit dabei waren E-Bassist Jaco Pastorius, ein wahrer Innovateur an seinem Instrument, und der neu dazugekommene Schlagzeuger Peter Erskine, der ein etwas jazzigeres Element hinzufügte. Es ist übrigens die einzige Weather Report Besetzung, in der kein Perkussionist vertreten war. Bis jetzt gab es von diesem Quartett Dokumentationen beispielsweise in Form des „8.30“ Live Albums, welches 1979 veröffentlicht und zu großen Teilen in Long Beach, Kalifornien im November des vorherigen Jahres aufgenommen wurde.
Der ursprüngliche Plan war, aus dem Konzertmaterial eine Doppel-LP zu machen, aber da bestimmte Tracks versehentlich während der letzten Produktionsschritte gelöscht worden waren, wurden stattdessen vier im Studio aufgenommene Kompositionen einbezogen. Mit der Veröffentlichung der jetzt vorliegenden Musikkollektion sind Weather Report-Fans nun zu einem Konzert eingeladen, bei dem sie die großartige Performance in Offenbach zu hören (oder zu sehen) bekommen. Vielleicht könnte man sagen, dass dieses Album das geworden ist, was eigentlich „8.30“ hätte sein sollen? Peter Erskine, als einer von vielen, wird zitiert, das Offenbach-Konzert sei sehr hoch zu schätzen. Im September 1978 ermöglichte es der Headliner-Status der Band, ein langes Set von zwei Stunden zu spielen.
Nachdem „Heavy Weather“ im Vorjahr in sämtlichen Polls zum beliebtesten Album gewählt wurde, hätte man annehmen können, dass die Band mehr oder weniger das Heavy Weather Programm spielen würde, aber stattdessen wurden den Fans viele Stücke aus der Historie von Weather Report geboten. „Black Market“ ist der Konzert Opener. Schon zu Anfang wird dem Zuhörer klargemacht, dass der Energielevel hoch ist und die entspannte Gangart der Studioversion von einem etwas schnelleren Tempo ersetzt wird. Das folgende atmosphärische „Scarlet Woman“ ist von Zawinul, Shorter und dem früheren Bassisten Alphonso Johnson geschrieben worden und wurde von der Band seit 1974 in Konzerten gespielt.
Nach dem feurigen Opener „Black Market“ verschiebt sich der Fokus nun auf Zawinuls gefühlvolles Synthesizersolo, das von Pastorius´ Bassspiel untermauert wird. „Thanks for the Memory“, ein weiteres Solo, diesmal von Shorter alleine, ist teils „Laune“, teils „Zerstörung“ und, genau wie Zawinuls Interpretation von Ellingtons „I Got It Bad (And That Ain´t Good)“, großartig. Kurz vor dem Offenbacher Konzert erschien Weather Report´s kontrovers diskutiertes Album „Mr. Gone“. Es galt weitverbreitet als Zawinuls Soloexkursion und bekam vom Downbeat Magazine nur ein „one star rating“. Die Konzerte im Herbst des Jahres beinhalteten vier Tracks dieser umstrittenen CD: „Young and Fine“, „The Pursuit of the Woman with the Feathered Hat“, „River People“ und „Mr. Gone“.
So unbeliebt das Material anscheinend war – die Band hatte alles bei ihrer folgenden Sommertour 1979 aus dem Konzertprogramm genommen -, ist es heute umso interessanter, festzustellen, wie unterschiedlich diese Tracks kompositorisch sind und, im Nachhinein betrachtet, den Shows von 1978 einige charakteristische Merkmale gegeben haben. Das Konzert in Offenbach ist voller Leidenschaft (überzeugen Sie sich davon auf der DVD), die auch bei Zawinuls einmaligem „Young and Fine“ zum Vorschein kommt. Zwei andere Songs von „Mr. Gone“, der Titeltrack und „The Pursuit of the Woman in the Feathered Hat“, stammen auch aus Zawinuls Feder und reflektieren mit ihren vielschichtigen Keyboards ziemlich ausdrucksvoll die Entstehung des Albums als Solowerk. In Offenbach sind in „Pursuit“ das Saxophon und der Bass eher unbeteiligt, während bei „Mr. Gone“, das den Weg für Future-Elektro-Bop wie in „Night Passage“ ebnete, sowohl Zawinul als auch Shorter die engen Grenzen des Originals ausdehnen.
Weather Report gewann mit Pastorius einen dritten, wertvollen Komponisten hinzu, dessen Song „River People“, ein Stück mit übersprudelnden, unisono Bass- und Synthesizer-Lines, beispielhaft für seinen Kompositionsstil steht. „In A Silent Way“ und „Waterfall“ sind Rückblicke auf die frühen Tage der Band und in Anbetracht des Repertoirs gab es im Offenbacher Publikum möglicherweise Bedenken, dass das Hit-Album „Heavy Weather“ kaum zur Geltung kommen würde. Sie mussten sich aber keine Sorgen machen. Weather Reports achtes Album, von dem beachtliche 500.000 Exemplare verkauft wurden, war mit drei Songs vertreten, „Teen Town“, „A Remark You Made“ und natürlich der Hit: „Birdland“. „Teen Town“ ist ein Pastorius Feature.
Auf dem Original ist bereits nach drei Minuten alles vorbei! Hier wird es einer dramatischen Transformation unterzogen, indem die Hauptthemen zweimal gespielt werden und mit einer Überraschung am Ende des Stückes. Pastorius und Erskine treiben das Stück voran, schenken dabei aber auch Shorters klagendem Sopransaxophon und Zawinuls waghalsigen Bass- und Synth-Einschüben Gehör. Sollte jemand den Bewis benötigen, dass Weather Report 1978 ein improvisierendes Ensemble war; hier ist er!
Einer der herausragenden Tracks des Konzerts ist Zawinuls „A Remark You Made“. Seine Struktur ist ungewöhnlich und trotzdem ist es eines der populärsten und bewegendsten Stücke im gesamten Repertoire. Ohne Frage wie gemacht für Wayne Shorter`s Tenorsaxophon Spiel. Es enthält außerdem ein rhapsodisches Klavierzwischenspiel und wunderschöne, melodiöse Statements von Pastorius, die das Bassspiel in der Jazz- und Popszene beeinflussten. Es ist eine wahre Freude, ihn diese Passagen auf der DVD-Version der Aufnahme spielen zu sehen. Großer Applaus ertönt in Offenbach, als Zawinul und Shorter ihr Deut von „The Midnight Sun Will Never Set On You“ schließlich in die tiefe, dröhnende, von Synthesizern getragene Anfangspassage von „Birdland“ lenken.
Zawinuls Ode an den New Yorker Club ist bis heute Weather Reports bekanntester Song und kommerziellster Erfolg, welcher einerseits natürlich auf diese einzigartige Melodie zurückzuführen ist und anderseits auch (bevor es vergessen wird) auf die wunderbare Struktur dieser Komposition. Im Konzert spielte die Band es mit voller Souveränität – keine leichte Sache, da das Original eine Vielzahl von schwierigen Keyboardparts aufbietet. Man hätte gedacht, dass dieser Hit die Performance beenden würde. Aber nein, mit einer bis zum Limit gehenden Energie performt die Band „Elegant People“, eine Wayne Shorter Komposition mit einer tollen Melodie, die von dem erfinderischen Spiel von Pastorius und Erskine untermauert wird. „Badia“, dieses magische Thema, das auf einen unbestimmten, im Osten liegenden Ort verweist, bringt das Ganze dann schließlich zum Ende. Aber nicht bevor das Tempo noch einmal angezogen wird und Zawinul mit einem meisterlichen Keyboardsolo einsteigt. Joe Zawinul betonte immer, dass Weather Reports Musik ihre Musik war, ein Produkt der Gruppenidentität und nicht einfach Jazz-Rock, was viele Bands zu dieser Zeit spielten. Eine Nacht in Deutschland ist der eindeutige Beweis dafür.
Iain Murray
Tracklist:
01. BLACK MARKET
02. SCARLET WOMAN
03. YOUNG AND FINE
04. THE PURSUIT OF THE WOMAN WITH THE FEATHERED HAT
05. A REMARK YOU MADE
06. RIVER PEOPLE
07. THANKS FOR THE MEMORIES
08. DOLORES / PORTRAIT OF TRACY / THIRD STONE FROM THE SUN
09. MR. GONE
10. IN A SILENT WAY
11. WATERFALL
12. TEEN TOWN
13. I GOT IT BAD AND THAT AIN’T GOOD / THE MIDNIGHT SUN WILL NEVER SET ON YOU
14. BIRDLAND
15. INTRODUCTIONS
16. FRED & JACK
17. ELEGANT PEOPLE
18. BADIA