Klaus Schulze – La Vie Electronique Vol. 8
WÄHREND DER JAHRE 1977 BIS ‘83…
…nahm Klaus Schulze einige seiner mehr beschaulichen Werke auf. Die Alben MIRAGE, DUNE oder DIG IT zeigten einen bedeutsamen Wechsel in seiner Art zu spielen und zu komponieren. Letztlich hatte Schulzes Erneuerung und Erweiterung seines Instrumentenparks auch einen Effekt auf die Musik und auf die Möglichkeiten, sie noch verfeinerter zu spielen und aufzunehmen. Zum Beispiel beim Titel wie “Synthasy” von DIG IT, da merkt man, dass Schulze seit TIMEWIND oder MOONDAWN einen langen Weg hinter sich hat. Auf diesem achten Teil von LA VIE ELECTRONIQUE findet man eine Auswahl von Titeln die während dieser Jahre außerhalb der offiziellen Alben entstanden.
Ein nicht unerheblicher Teil dieses 3-CD-Sets sind Konzertaufnahmen von der 1979er Tournee mit dem Gast-Sänger Arthur Brown, die mit einem der damals üblichen Kassettenrecorder – in Stereo – aufgenommen wurden. Neben drei Titeln, die bereits 1980 auf dem offiziellen Album “…LIVE…” veröffentlicht wurden, gibt es diverse andere Mitschnitte von dieser Tournee im Herbst ‘79.
Zum Beispiel das Konzert der beiden am 24. Oktober im Audimax der TU Brüssel, es offenbart die Energie und Leidenschaft dieses ungewöhnlichen Duos, zum Beispiel “Faster Than Lightning”, der zweite Titel an diesem Konzertabend. Vor der Pause ist Schulze zweifelsohne in guter Stimmung beim Titel “Dans un jardin”, mit dem er eine musikalische Landschaft schafft, seelenvolle Soli auf seinem Minimoog spielt, dann auf elektronischen “Bongos” trommelt, um im späteren Teil des Titels dann eine dunklere Stimmung zu erzeugen. Von diesem schönen Konzert gibt es hier im Set noch mehr.
Die “Hitchcock Suite” ist noch einer dieser Schätze, die lange Jahre im Archiv vergraben waren: Eine vierteilige Komposition, in der alle Elemente von Klaus’ Siebziger-Jahre-Sound zu finden sind. Von den unheimlich klingenden ersten beiden Teilen bis zu den mehr sequenzerlastigen späteren, ist es so etwas wie ein Übergangs-Stück, denn es gibt Augenblicke die an Material aus BODY LOVE 2 erinnern, oder MIRAGE, aber auch an DUNE. Aufgenommen um 1977/’78, kann man gut spüren wie Klaus in eine neue Richtung schaut und versucht, auf die mehr experimentelle Phase der Analogzeit in den späten Siebzigern zuzusteuern. Die Klänge am Anfang von “Tippi Hedren” kommen vom Yamaha CS 80, ein Keyboard-Synthi der wirklich revolutionär war, als er anno 1977 auf den Markt kam. Ich vermute, die “Hitchcock Suite” ist eins der ersten Stücke in denen Klaus dies wichtige und gewichtige (zirka 100 kg) Instrument einsetzt. Von nun an benutzte Klaus den CS 80 sehr oft, auf Platten wie in seinen Konzerten. Meist sogar als Soloinstrument (wie zum Beispiel die harten Anschläge in “A Few Minutes After Trancefer” auf dem 1981er TRANCEFER-Album), oder er spielte den CS 80 um in einem länger andauernden Konzert-Titel eine Grundstimmung zu schaffen, zumindest in den späten Siebzigern/frühen Achtzigern.
Nach diesen 40 Minuten Studio-Herrlichkeit bringt die zweite der drei CDs noch mehr Konzert-Aufnahmen von der ‘79er Tour. Es gibt zwei Zugaben von den Konzerten in Brüssel am 24. Oktober und zwei Tage danach in Aalst (ebenfalls in Belgien). Beide Titel (“L’aiffaire Tournesol” und “Bona fide”) teilen sich denselben Sequenzer-Lauf, offenbaren aber auch deutlich ihre eigene Charakteristik.
In “L’affaire…” baut Klaus Schritt für Schritt die Basis, die dann Raum gibt für ein fast hymnisches Minimoog-Solo. Es ist nicht ganz so rau wie einige seiner Soli in Konzerten der frühen Achtziger, aber es hat die Stärke und die Höhepunkte, um diesen rhythmischen Titel abzurunden.
Mit den Streicher-Klängen des Korg PS 3300 wird “L’affaire…” zu einem außergewöhnlichen Ende gebracht. Klaus gab an diesem Abend ein tolles Konzert. Leider ist “Bona fide” nicht ganz so fruchtbar und bedeutend, womöglich war Klaus etwas in Eile. Die CD 2 wird von einem Fragment eines Interviews abgerundet: im belgischen Radioprogramm “Kaleidofoon” wird er zum Gebrauch des GDS-Computers in Konzerten gefragt. Und in der Tat, das Konzert zwei Tage nach diesem Interview war sehr “radikal” für altmodische Schulze-Fans. Zum Beispiel gab es diese Reaktionen in einem der frühen KLEM-Magazine: “Schulze spielte einfach nur Rock’n’Roll”, “Klaus ist richtungslos und ihm fehlt die Inspiration”, um nur zwei zu nennen. Interessant: Klaus Schulze war im Jahr 1980 gerade am Beginn einer langen Reise zum digitalen Zeitalter. DIG IT war ein Kind dieser Zeit; dies Album öffnete Türen für mehr Experimente mit Synthesizern wie den CS 80, PPG Wave und Fairlight, alle im glorreichen digitalen Sound.
Durch die Zusammenarbeit mit Michael Shrieve interessierte sich Klaus wieder mehr für Rhythmen, nun mittels Programmierung. Zu hören zum Beispiel auf CD 3. Die kurzen Titel “I Remember Rahsaan” und “A Quick One” sind Variationen von “Silent Running”, die gewaltige zweite Seite der imposanten TRANCEFER-LP aus dem Jahr 1981. Erwähnenswert ist das Saxophon- und Flötenspiel von Steve Jolliffe, ein Engländer der kurze Zeit Mitglied bei Tangerine Dream war. Diese beiden Stückchen, die Jolliffe mit KS aufnahm (und von dem es ein längeres Stück auf dem 1986er Wahnfried-Album MIDITATION gab) sind nett, aber sonst nicht weiter bemerkenswert. Da fehlt das gewisse Etwas. “Count Me In” hat Elemente aus “Spielglocken” und “Tango Saty” (AUDENTITY, 1983), einschließlich der Simmons und EEH drum computer, laut Cover gespielt und programmiert von Michael Shrieve.
Der Titel “Zugabe Timbales” ist die Begleitung, der Hintergrund, neudeutsch das “backing” für die Zugabe, die Klaus (mit Manuel Göttsching) bei den Konzerten auf der 1981er Europatour gab.
“Keep Up with the Times” klingt für mich wie das “backing”, das für den ersten Teil dieser Tour verwendet wurde: ein kraftvolles Unterfangen und die ideale Musik für eine lange Autobahnfahrt.
Schlussendlich, wie weit Schulze im Konzert gehen kann, ist in “The Martial Law” zu hören; er gibt tatsächlich alles auf dem Minimoog. Was für ein Unterschied zu dem eleganten “L’affaire Tournesol” auf CD 2. Hört, aber seid gewarnt: Dies ist zorniges, aber melodiöses Material in typischer Schulze-in-den-Achtzigern Manier!
Schulzes Musik der späten Siebziger/frühen Achtziger wird oft übersehen und unterschätzt. Beim Hören der Musik dieses 3-CD Sets kann man also “die andere Seite” dieser besonderen Periode entdecken. Analog gab es noch, aber Digital war auf dem Weg zur Macht.
Wouter Bessels, Juli 2008. Übersetzung: kdm
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