KARTHAGO – Rock’n Roll Testament
Kein anderes Album von Karthago ist wohl dermaßen umfangreich und intensiv vorbereitet worden wie dieses, dessen Songs kompositorisch ausschließlich aus der Feder von Joey Albrecht stammten.
Das ist der größte Unterschied zu allen anderen Karthago Alben, vor allem zum Second Step Album, auf welchem sich jeder der Band auch selbst verwirklicht hat.
Rock`n Roll Testament hat von A-Z eine einheitliche Linie geprägt von Joey und seiner damaligen Vorliebe zur amerikanischen „Funky Music“ und der Beziehung zu Tom Cunningham.
Tom Cunningham, in Berlin lebende Amerikaner, später selbst Erfolgsproduzent und erfolgreicher Song Writer, war Texter fast aller Songs des Albums.
Wenn Joey sich mit Textern verstand war das meist eine sehr intensive, sich gegenseitig beeinflussende Symbiose – auf geistig- musikalischer Ebene fast so etwas wie ein eheähnliches Verhältnis.
Joey`s Rolle als Komponist und seine Zusammenarbeit mit Tom Cunningham sind der Geist, die Handschrift von Rock`n Roll Testament – sein Gesang und geniales Gitarrenspiel sind die durchgehend tragenden Elemente und absoluten Highlites zugleich.
Tommy Goldschmidt war mit seiner Percussion eigentlich das wesentliche Unterscheidungsmerkmal von Karthago gegenüber andern deutschen Bands die technisch versierte Musik in der anglo – amerikanischen Richtung spielten. Das Material des Albums unterstrich in fast allen Songs diesen einmaligen Percussion Teil der Band mehr, als es die anderen Studio Alben jemals taten.
Ingo Bischof war wieder mit allen Tasteninstrumenten erstklassig und virtuos vertreten, beeindruckte mit seinem Einfühlungsvermögen und brillierte solistisch.
Solide Grundlage aller solistischen Höhenflüge waren das Schlagzeug von Konni Bommarius und der Bass Drive des Ex Jethro Tull Weltstars Glenn Cornick.
Seit den Aufnahmen zu Second Step in den Hamburger Windrose Studios hatte sich einiges bei Karthago getan.
Die Band war zur Life Attraktion auf deutschen Bühnen und viel bekannter geworden.
Die Konzerbesucherzahlen stiegen stetig, die Publikumsbegeisterung war gewaltig.
Auftritte in anderen europäischen Ländern wurden häufiger. Die Journalisten von Funk und Presse wurden immer interessierter, teilweise selbst zu Fans, Joey und die Band zum Lieblingsmotiv der Musik Fotografen. Nicht nur die anderen deutschen Bands waren trotz aller Konkurrenz Situation von Karthago überzeugt und begeistert, sondern auch die englischen und amerikanischen mit denen man auf Festivals oder in Clubs zusammen spielte. Die Anerkennung jener speziell hat uns natürlich stolz gemacht und motiviert. Das waren ja eigentlich die, mit denen man sich messen wollte, da sie nach wie vor weltweit am erfolgreichsten waren.
In den Publikumsvotings der Musikzeitschriften Pop, Musik Express und Sounds, meist Pop Polls genant, belegte Karhago in der ersten Hälfte der 70er sowohl als Band als auch in den Solistenpositionen durchgehen die Plätze 1 bis 3.
Wenn auch damals unter den Bands eher verpönt, so war es doch eine gewisse Ehre, in der Bravo mit ganzseitigem Farbbild erschienen und in der ZDF Disco bei Ilja Richter aufgetreten zu sein. Die Jungs sahen halt neben allen Fähigkeiten noch extrem toll aus und besaßen bei ihren Fans durchaus echten Rockstar Status.
Trotz aller positiven Entwicklung war das Bandleben zu dieser Zeit äußerst schwer. Finanzielle Sorgen drückten fast alle Bands und die Gruppendynamischen Prozesse forderten auch hier ihre Opfer. So hatten bereits vor Rock`n Roll Testament der Bassist und Gründungsmitglied Gerald Luciano Hartwig und der Schlagzeuger Panzer Lehmann die Band verlassen. Am Schlagzeug hatte sich die Band dann für Konni Bommarius aus Mannheim entschieden.
Bezüglich eines neuen Bassisten tat sich die Band schwer. Die Kandidaten die hier zu Lande in Frage gekommen wären, waren woanders fest engagiert. So entschieden wir unser Glück per Audition in London zu versuchen. Das Management Team, Cornelius und Marcellus Hudalla, hatte auf Grund seiner Fotografen und Journalisten Tätigkeit sehr gute Beziehungen zu den dortigen Managements, Agenten, Studios, Medien und Musikern. Wir haben mit dem Schritt die Musikersuche auf London aus zu dehnen für deutsche Bands Neuland betreten. Es war erstaunlich wer sich alles zur Audition gemeldet hat und wir bekamen von den Top Musikern höchste Komplimente. So fand z.B. der Bassist der Jeff Beck Band die Karthago Version von Going Down wesentlich besser als die von Jeff Beck selbst.
Bei aller Begeisterung über die musikalische Kompetenz der Karthago Musiker hielt sich jedoch die Bereitschaft von Swinging London auf die Insel Berlin mitten im bedrohlichen Kommunismus umzusiedeln doch fast ängstlich in Grenzen – bis dann einer ja sagte: Glenn Cornick, der bekannte Typ am Bass von Jethro Tull, der mit dem Stirnband und der Brille.
Glenn war ein echter, weltweit bekannter Rockstar, zudem noch ein toller Bassist und unheimlich netter Kerl. Als Zugabe brachte er noch seinen amerikanischen Straßenkreuzer nach Berlin, mit dem wir dann oft zu Auftritten fuhren. Wow, mit so einem Typen und so einer Karre in der Szene, das war schon eine Show für sich, hat zur Anerkennung, Neid und Missgunst bei anderen und zur Steigerung des Selbstbewusstsein bei uns beigetragen.
Parallel lief noch der Wechsel der Plattenfirma. Wir hatten das finanziell lukrative Angebot der BASF ausgeschlagen und beim Bazillus Label der Bellaphon unterschrieben. Hauptgrund war, dass deren damaliger Manager Peter Hauke als Produzent erfolgreich war und mit Nektar die erste, hier ansässige Band in die USA gebracht hatte, was auch unser Traumziel war. Er produzieret zudem in tollen Studios in England und setzte ganz abgefahrenen Künstler zur Gestaltung der zu der Zeit tollsten Alben Cover ein.
Ich habe dann mit Joey und unserem Chef Roadie George Früchtenicht in den Proberäumen in der Wrangel Kaserne, in Berlin Kreuzberg, mit dem Life Mischpult und zwei Revox Maschinen über mehrere Wochen fast täglich bis morgens um 5 Uhr die Songs erarbeitet, für die anderen Musiker vorbereitet und aufgenommen. Trotz extremen Rauschens durch das endlose Hin und Her Überspielen waren die Ergebnisse genial. Leider sind die Bänder unauffindbar verloren gegangen.
Peter Hauke hat uns dann für die Aufnahmen in das Chipping Norton Studio in Wales gebucht. Toningenieur war Barry Hammond, der Aufnahmen von Berühmtheiten wie Carly Simon, James Taylor, Chris Farlow und vielen mehr gefahren hatte.
Auf dem Weg dorthin machten wir auch in London im Ur englischen Pub von Glenns Elter Zwischenstation.
In der walisischen Abgeschiedenheit von Chipping Norton wurden wir dann – völlig entgegengesetzt zur unseren Vorfreuden, Hoffnungen und Erwartungen – von einer Menge einzelner und gruppendynamischer Probleme überrollt, die fast zu einem Scheitern der Aufnahmen geführt hätten. Selbst ein Besuch von Ex Fleetwood Mac und Super Star Gitarist Peter Green änderte nichts an der Situation. Vielleicht war das sogar ein schlechtes Karma. Er hatte ja auf dem damaligen Höhepunkt von Fleetwood Mac unerklärlicher Weise die Band verlassen und soll auf dem dortigen Friedhof als Totengräber gearbeitet haben. Im Nachhinein irgendwie gruselig, obwohl so eine Geschichte dort in die Landschaft passt.
Ich weiß nicht, was uns letztendlich doch noch auf den letzten Drücker alle Aufnahmen schaffen lies. Die endlosen Gespräche die wir in unterschiedlichsten Stimmungslagen geführt haben , die tolle menschliche Unterstützung von Glenn Cornick, der schon erfahrener war als der Rest, seine Verbindungen zu allen großen Dingen und für alle Kleinigkeiten in England oder doch die musikalischen Höhepunkte, die sich die Band und Special Guests dann noch mit einigen weltklasse Passagen selbst geschaffen hat.
Tatsache war aber, dass wir unser Produktions-Budget, bis auf einen Tag, voll aufgebraucht hatten.
Zum Mischen ging es im Dezember `74 in das Air Studio in London – der Sound Tempel schlechthin, der seiner Zeit George Martin gehörte. Besagter war auch anwesend und produzierte gerade die Bee Gees.
Unser Mixing Engineer war kein geringerer als Geoff Emmerick, damals so etwas wie der Gottvater seiner Zunft.
Geoff Emmerick hat als Soundengineer den Grammy, die höchste Auszeichnung der Musik Branche, für die Alben Seargent Peppers Loneley Heart Club Band und Abbey Road, der Beatles, Band On The Run von Paul McCartney und sein eigenes Lebenswerk erhalten.
Wir waren eigentlich dort angekommen wovon jeder kleine Musiker, der einmal in einem muffigen Keller seine ersten Schritte als Band beginnt, träumt.
Wir durften mit den Stars der Szene, im Mekka der Rockmusik, in London arbeiteten – und sie arbeiteten tatsächlich mit uns.
Wow!!!
Der Hammer für uns war aber die traurige Tatsache, dass es Peter Hauke trotz intensivster Bemühungen nicht gelungen war eine Produktionskosten Aufstockung für Rock`n Roll Testament bei seinem Ober Guru durchzusetzen.
Im Gegensatz zu unseren erfolgreichen Vorbildern in London oder Amerika waren wir dann doch noch nicht so weit und hatten nicht den zeitlich finanziellen Freiraum unsere Kreativität voll auszuleben und mögliche Schwachpunkte so lange zu verbessern, bis wir mit dem Ergebnis glücklich und zufrieden gewesen wären.
Das hieß: Wir mussten das gesamte Album, 10 Titel auf 24 Spuren, die teilweise mehrfach belegt waren an einem Tag mischen.
Eigentlich geht das nicht, auch nicht mit Geoff Emmerick.
Wir haben es aber geschafft. Ich weiß nicht wie, was wir im Kaffee hatten und ob dieser Tag nicht ausnahmsweise doch 48 Stunden hatte.
Hätte ich einen Wunsch frei – es wäre das einzige Album, an dem ich jemals mitgearbeitet habe, welches ich noch einmal mit genügend Zeit unter entspannten Voraussetzungen mischen möchte.
Fast hätte ich es vergessen: Das ursprüngliche Album Cover mit dem Elefanten von Helmut Wenske als Klapp Cover war gigantisch. Die motivgleichen Plakate waren in ganz Deutschland zu sehen und es gab im ganzen Lande kaum eine Raststätten oder Clubtoilette in der man nicht den adäquaten Sticker finden konnte.
Das Album ist ein „Songalbum“ mit tollen Vocals von Joey, und sehr melodischen zweistimmigen Passagen, gemeinsam mit Tom Cunningham.
Sein Gitarrengenius drückt sich auf diesem Album mehr durch seine überragenden technischen Fähigkeiten aus, als durch seine sonst so signifikante spontane Emotionalität. Highlights für Gitarrensounds sind The Creeper und die Tribute to Hendrix Nummer „See You Tomorrow In The Sky“. Einmalig die „Gitarrensymphonie“ Rock`n Roll Testament und absolute Weltklasse das Solo in „Highway Five“.
Ingo gibt dem Album mit seinen Keyboards das gewisse etwas an Klangfarbe. Genial das Feeling am Mini Moog in „Sound In The Air“ und absolute Weltklasse sein Solo am Flügel (Grand Piano) in „We Gonna Keep It Together“. Etwas ähnlich Vergleichbares habe ich bis heute nur von Greg Allmond in „Jessica“ gehört. Ich erinnere mich noch genau dass er dies letztendlich in einem Take eingespielt hat und wir im Studio alle vor Begeisterung aufgesprungen sind.
Tommy Goldschmidt macht Rockn`n Roll Testament erst zum richtigen Karthago Album. Es gab zu dieser Zeit keine Band in Deutschland außer Karthago, die diese außergewöhnliche Klanfarbe rhythmischer Untermalung zu bieten hatte. „Hard Loving Woman“, „We Gonna Keep It Together“, „Highway Five“ und „For Kathy“ sind Zeugnis seiner südamerikanischen Herkunft und Highlights seiner brillanten Ausdruckskraft.
Vicky Brown, Barry St.John und Joanne Williams, keine geringeren als der Backing Chor von Elton John, waren die Chor Engel im Hintergrund bei „Hard Loving Woman“, Now The Irony Keeps Me Company“ und „For Kathy“.
Sensationell deren Gesang in „Now The Ironie Keeps Me Company“ Sie haben uns bei diesem Song ausnahmslos eine Gänsehaut verpasst. Wir sind nach dem Take aufgesprungen und haben ihnen minutenlang Standing Ovations gegeben.
Cornelius Hudalla
Produzent, Fotograf, Manager
…mehr KARTHAGO:
TRACKLISTING:
01: Hard-Loving Woman 3:38
02: We Gonna Keep It Together 5:14
03: Now The Irony Keeps Me Company 3:21
04: Rock'n'Roll Testament 4:24
05: The Creeper 4:04
06: Back Again 4:07
07: Sound In The Air 5:09
08: Highway Five 3:43
09: For Kathy 3:02
10: See You Tomorrow In The Sky 3:47