Einstürzende Neubauten – Live At Rockpalast 1990
Als die Einstürzenden Neubauten 1980 gegründet wurden, gab es kaum eine andere Band, die mit ihnen vergleichbar war.
Anstatt auf konventionellen Instrumentarien zu spielen, griff die Band, zunächst aus Geldnot, auf Werkzeuge und Alltagsgegenstände zurück und kreierte damit industrielle, atonale Kollagen, die den baldigen Untergang prophezeiten („Kollaps“). Ihre zu Beginn noch vorherrschende destruktive und nihilistische Grundhaltung entsprach zwar dem Zeitgeist des Post-Punk der frühen 80er Jahre, jedoch konnte die Umsetzung radikaler nicht sein: Schlagwerker F.M. Einheit malträtierte die Bühne mit einer Bohrmaschine, Kopf und Sänger Blixa Bargeld spielte die Gitarre in frühen Tagen gerne mit einem Rasierapparat. Wenn es Parallelen gab, dann allenfalls zur Musique concrète.
Doch schon sehr bald, von ihrer stetig wachsenden Fangemeinde fast unbemerkt, verfeinerte sich das Bild: Vergleiche zu britischen, auf Ölfässern trommelnden Epigonen wie Test Department oder SPK lehnte Blixa Bargeld schon sehr früh ab und wunderte sich bereits in einem mit mir geführten Interview von 1985 darüber, warum man die Parallelen zu Gruppen wie den Ton, Steine, Scherben so sträflich übersehen würde.
In der Tat schafften es die Neubauten sehr schnell, dem puren Industrial-Klischee durch Individualität, Raffinesse und vor allem lyrischen Gehalt zu entfliehen. Auch ohne schmetterndes Metal vermochten es die Neubauten schon auf ihren Alben „Die Zeichnungen des Patienten O.T.“ oder „5 auf der nach oben offenen Richterskala“ bedrückende, filigrane und sphärische Klangbilder zu schaffen („Armenia“, „Kein Bestandteil sein“).
Blixa Bargelds Faszination für die deutsche archaische Sprache, zu erleben u.a. in dem Song „Ein Stuhl in der Hölle“ (einen Text, den Bargeld in einem Buch mit alten Küchenlieder gefunden hat) waren auf ihrem 1989er Album „Haus der Lüge“, das auch den Nukleus dieses Rockpalast-Konzert bildet, unüberhörbar. Die Einstürzenden Neubauten benutzen die Sprache ganz bewusst völlig anders als andere Bands jener Zeit. Die deutsche Sprache wurde erweitert, indem auf ihre Ursprünge zurückgegriffen wird.
Blixa Bargeld formulierte es 1989 so: „Ich liebe die deutsche Sprache, aber manchmal ist sie mir zu eng. Manchmal ist es nötig, Worte neu zu beugen und manchmal ist es nötig, auf Worte zurück zu greifen, die in ihrer Assoziation nicht so vorbelastet sind. Ein Wort wie ‚Liebe“ kann man nicht gebrauchen, das ist das beste Beispiel. Es ist ein Fußabtreter, vorbelastet mit tausend Assoziationen, die noch nicht mal bei jedem Menschen gleich sind.“
So entstand peu à peu ein eigener Kosmos, der in metaphorischen Songs wie „Haus der Lüge“ oder „Feurio“‚ seinen perfekten Ausdruck fand. Dennoch sind auch diese Stücke nur ein Teil eines Prozesses, sie besitzen weder eine Botschaft, noch sind sie beliebig: Blixa Bargeld: „Kreativität heißt für mich, Kontrolle zu verlieren. Indem ich die Kontrolle verliere, kommt etwas dabei heraus. ‚Das letzte Biest am Himmel’ habe ich z.B. gar nicht geschrieben. Es ist entstanden. Ich entkodiere meine Texte nicht, weder für mich, noch für die Hörer. Wenn ich sie entkodiere und entzaubere, raube ich den Texten jeglichen Charme.“
Das Rockpalast-Konzert in der Düsseldorfer Philipshalle vereint all die Songs, die unter den von Bargeld formulierten Gesichtspunkten bis zu diesem Zeitpunkt stilbildend und relevant waren, auf einzigartige, komprimierte Art und Weise. Das Zusammenspiel, besser gesagt die Interaktion der damaligen Besetzung Blixa Bargeld, Alexander Hacke, N.U. Unruh, F.M. Einheit und Mark Chung ist in kaum einem anderen Filmdokument so perfekt eingefangen und auf den Punkt gebracht, wie hier.
Ecki Stieg, September 2012
Tracklisting:
1. Prolog
2. Feurio
3. Der Tod ist ein Dandy
4. Sehnsucht
5. Armenia
6. Yu Güng
7. Zerstörte Zelle
8. Trinklied
9. Ich bin’s
10. Ein Stuhl in der Hölle
11. Der Kuss
12. Haus der Lüge
13. Kein Bestandteil sein
14. Zeichnungen des Patienten O. T.
15. Sand
16. Letztes Biest am Himmel