Weather Report – Live in Berlin 75
Die Gründung von Weather Report jährt sich 2011 zum 40. Mal. Der Maxine & Joe Zawinul Estate freut sich sehr, zur Erinnerung daran erstmalig den Originalmitschnitt des Auftritts der Superband bei den Berliner Jazztagen 1975, einem der ältesten und angesehensten Jazz Festivals in Europa, zu veröffentlichen. Von den Klängen des pulsierenden „Freezing Fire“ von Wayne Shorter am Anfang bis zu Joe Zawinul‘s exotischem „Badia / Boogie Woogie Waltz“ (eine Vorlage für die Bewegung der Weltmusik, die eine Dekade später aufkam) sprüht „Live In Berlin 1975“ mit einem kühnen Entdeckungsgeist und Wagemut, betont durch ein frappierendes Gefühl für das Zusammenspiel, welches es der Band ermöglichte, von Motiv zu Motiv und Sequenz zu Sequenz jeweils voll authentisch zu sein. Wie Zawinul es einst formulierte, als er und Shorter die Band 1971 gründeten:„we always solo and we never solo„. Es war ein perfekter Spruch, um Weather Report‘s Spielweise und Musik zu beschreiben, und es wurde zum Mantra der Band, bis sie sich 1985 trennte.
Diese Merkmale der organischen, kollektiven Improvisation wurden im Einzelnen beschrieben von Mark Gridley in „Jazz Styles: History And Analysis“: „Weather Report erforschte einen ungewöhnlichen Ansatz zur Improvisation durch die Gruppe. Statt an Rollen festzuhalten, die mit Bop-Schemata im Einklang sind, wurden die Instrumente bei Weather Report in hochgradig interaktiver Weise gespielt. Einfälle einer Melodie konnten von jedem Mitglied kommen, nicht nur vom Saxophon. Rhythmische Figuren und Begleitung konnten ebenso von jedem Mitglied hervorgebracht werden, nicht nur vom Schlagzeuger“. Aber vielleicht hat es dan Morgenstern in seiner fünf Sterne Rezension in Down Beat über Weather Report‘s ersten Auftritt unter diesem Namen am besten formuliert:“die Musik von Weather Report ist Musik jenseits jeder Kategorie. Alles was ich hinzufügen kann zu dem, was die Männer, die sie gemacht haben, ist, dass es mir wie Musik erscheint – anders als jede, die ich gehört habe, wie Musik, die sehr zeitgemäß ist, aber ebenso sehr warm, sehr menschlich und sehr schön“.
Das 1975er Lineup von Weather Report bestach insbesondere durch die fulminante Rhythmusgruppe mit Elektrobassist Alphonso Johnson, Schlagzeuger Chester Thompson und Perkussionist Alex Acuña. Der in Philadelphia geborene Johnson hatte den Originalbassisten von Weather Report, Miroslav Vitous ein Jahr vorher ersetzt und erschien in der Aufnahme der Gruppe von 1974, Mysterious Traveller, die mehr auf Spuren des Funk gegründet war als frühere Veröffentlichungen von Weather Report. Dies war definitiv die Richtung, in die Zawinul mit der Band aufbrechen wollte. Wie er zu jener Zeit sagte, „Miroslav akzeptierte, dass er keinen Funk spielen konnte. Aber Alphonso war ein riesiger junger Bassspieler. Ich mochte ihn sofort – er hatte einen soliden Beat“. Johnson hatte mit dem Chuck Mangione Quartet gespielt, als er von Zawinul die Einladung zu einem Vorspiel für Weather Report bekam. Sein Vorspiel bei der Audition wurde dann tatsächlich zur Aufnahmesession in Los Angeles für Mysterious Traveller. Es gab auf dem Album zwei Schlagzeuger, Skip Hadden und Ismael Wilburn, die Funk- Rock- und Swingmuster zu einem faszinierenden Netz von Rhythmen verbanden. Und Johnson lieferte den tiefen untergründigen Groove mit seinen hallenden und irren Basslinien.
Für das folgende Weather Report Album ,Tale Spinnin‘ (1975), engagierten sie Santana Schlagzeuger Ndugu Chandler, dessen kraftvoll polyrhythmischer Ansatz die Session befeuerte. Weil Chandler seine komfortable Position in der sich bestens verkaufenden Rockband Santana nicht aufgeben wollte, schlug er ein Angebot, sich Weather Report anzuschließen und mit der Band auf Tour zu gehen, aus. Shorter, der ja mit dem großen Art Blakey während dessen Zeit mit den Jazz Messengers sowie mit Tony Williams während seiner Anstellung beim Miles Davis Quintet gespielt hatte, war sehr eigen, was Schlagzeuger anging und frustriert darüber, dass Chandler sich entschied, lieber bei Santana zu bleiben als sich Weather Report anzuschließen. Auch Zawinul war eigen mit Schlagzeugern und benötigte das Feuer, das von dem Schlagzeug ausgeht. Die beiden Bandleader fanden schließlich den perfekten Schlagzeuger für Weather Report, als sie Chester Thompson von Frank Zappa‘s Band anwarben.
Als Musiker von erstaunlicher Kraft und Präzision am gerät, passte Thompson genau in den am Heavy Groove orientierten Stil dieser neuen Auflage von Weather Report. Zawinul verstärkte Thompson‘s treibenden Ansatz in der Rhythmusgruppe durch den Perkussionisten Alejandro (Alex) Acuña aus Peru für die Europa-tour 1975. Weather Report hat einen furiosen Start mit Shorter‘s „Freezing Fire“, das dieses Konzert der Berliner Jazztage eröffnet. Johnson setzt einen beharrlichen, nervösen, irren und scharfen Funk Groove unter das brodelnde Eröffnungsthema, wobei er den Fusion – Moloch vorantreibt und gleichzeitig Zawinul‘s abenteuerliche Keyboard-Arbeit und Shorter‘s Sopransaxophonspiel unterstützt.
Es folgt das ominös klingende „Scarlet Woman“, ein stimmungsvolles Stück aus Mysterious Traveller, das gemeinsam von Johnson, Zawinul und Shorter komponiert wurde. Johnson lässt hier Spuren von Verzerrung in seiner Basslinie anklingen, wobei er jeweils an der rechten Stelle ein dramatisches Ausrufungszeichen anfügt. Shorter bleibt bei seinem Sopransaxophon und bläst suchende Linien über den ausgedehnten Groove, während Zawinul sich auf holzflötenklänge und andere ausdrucksstarke und manchmal außerweltliche Klangstrukturen verlässt, um die ätherische Stimmung dieses unvergesslichen Stückes zu steigern.
Zu Shorter‘s „Mysterious Traveller“, dem hart schlagenden Titeltrack des Weather Report Albums von 1974, stellt Johnson sein Distortionspedal an und führt die Band mit seinen kräftigen Funk Basslinien zum Hyper Drive. Shorter wechselt zum Tenorsaxophon und wirkt bei diesem prahlerisch hymnischen Ton befreit, während Zawinul hinter ihm aggressiv auf einem Grunge-beladenen Fender Rhodes Epiano spielt. Die gesamte Band bewegt sich beachtlich auf Zawinul‘s „Badia / Boogie Woogie Waltz“ zu, eine 20minutige musikalische Reise, die mit einem wirbelnden Perkussionsolo von Acuña beginnt und zu einem interaktiven Dialog mit Zawinul führt, bevor die gesamte Band das melodische Thema bei Marke 3:20 aufnimmt.
Im Verlauf dieses bewegenden Klanggedichts, das eine Art erweitertes Pendant zu Zawinul‘s „In A Silent Way“ ist, wechselt Johnson zu einem turbulenten „Fuzz“ Bass-Solo und Shorter improvisiert ergreifend auf seinem Sopransaxophon, während Zawinul auf seinen Keybords wunderbare Klänge herbeizaubert. In der Mitte des Stückes wechselt Joe zum akustischen Modus und bietet ein seltenes, unbegleitetes Pianosolo über zwei Minuten, das wie eine Kaskade an einem Bergabhang hinunterperlt. dann lädt Shorter mit seinem Tenorsaxophon Zawinul zu einigen Refrains ein, bevor die Band zurückkommt, um das „Boogie Woogie Waltz“-Thema aufzunehmen (Weather Report‘s Standard Abschluss seit Sweetnighter von 1973). Zusammen mit Shorter, der auf das Sopransaxophon wechselt und es mit feuriger Hingabe bläst, heult Zawinul auf Synths über einem pochenden Groove, der von Acuña, Thompson und Johnson gestaltet wird. Das dynamische Stück baut sich auf zu einem Crescendo von der Intensität eines durchfahrenden Zuges, um damit diesen großartigen Auftritt bei den Berliner Jazztagen zu einem frenetischen Ende zu bringen.
Wenn man dieser Musik mehr als drei Dekaden später zuhört, klingt sie heute noch genauso frisch und belebend wie damals 1975. Sie ist eine lebendige Ergänzung zum Nachlass von Zawinul und ein weiteres Beispiel für die Bedeutung von Weather Report für die Entwicklung des Jazz während der turbulentesten und abenteuerlichsten Perioden in seiner Geschichte.
– Bill Milkowski
Tracklist:
1. FREEZING FIRE 8.21
BY WAYNE SHORTER (ISKA MUSIC)
2. SCARLET WOMAN 8.43
BY JOE ZAWINUL (MULATTO MUSIC)
3. MYSTERIOUS TRAVELLER 4.48
BY WAYNE SHORTER (ISKA MUSIC)
4. BADIA / BOOGIE WOOGIE WALTZ 19.44
BY JOE ZAWINUL (MULATTO MUSIC)